Januar

19

2008

Warum sind wir eigentlich Alle Deutschland?


Seit Jahren stellt ein Lehrling in einer TV-Werbung eines Herstellers für Bockwürste seinen Meister die immer gleiche, ja sogar in diesem Falle dieselbe Frage nach der Namensgebung der Würstchen. Darin enthalten ist der Name für unser Land. Er bekommt die Antwort, dass von allem nur das Beste darin ist, auch in den Wienern. Mal abgesehen, dass die in Österreich leben, hat die Werbung für mich in zweierlei Hinsicht äußert hohe Nervfaktoren: Zum Einen wegen des überaus devoten Lehrlings und seines eher altklugen „Meisters“, der in seinem erklärenden Ton wie ein lieber Onkel wirkt - was mir schon sehr suspekt ist - in Wirklichkeit aber nicht im Mindesten davor zurückschreckt, aus Allem, was gut ist, Wurst zu machen. Es also zu killen und zu verarbeiten, um es zum Verspeisen anzubieten. Zum Anderen, weil da ein ganz dubioser Patriotismus durchblitzt. Und der ganze Dialog klingt von der Satzmelodie so amateurhaft wie die Repliken von Lassie- und Flipperfilmen oder denen aus einer deutschen Seifenoper.

Eine Social Commercial Kampagne soll „uns Deutschen“ und besonders den Kindern suggerieren, sie seien selbst Deutschland. Abgesehen davon, dass dies Roland Koch anlässlich des Focus’ seiner aktuellen Wahlkampagne nicht gefallen wird (auch wenn er hierbei perfider weise „kriminelle Kinder und Jugendliche in Deutschland mit Migrantenhintergrund“ in den Vordergrund stellt), fürchte ich für die Kampagne, dass sie ihr Ziel verfehlt. Ich habe weder in meinem Umfeld noch unter Google finden können, dass sich Jemand damit ernsthaft identifizieren will oder dass dadurch die Kinder hierzulande mehr respektiert werden.

Was ist denn an uns, die wir hier leben interessant?

Ich habe es beim heutigen Stadtbummel bemerkt. Propagandisten, wo man hingeht. Hier eröffnet ein neuer Markt, der mit Minipreisen lockt, die so kalkuliert sind, dass sie ihrem Namen nicht gerecht werden, da hört man vor einem Shop eines Mobilfunkanbieters laute Musik und die Jahrmarktstimme, die Kugelschreiber für 1 Euro anbietet. Vor einem Kosmetikladen will man mich mit einem kostenlosen Make-Up locken und: der Knüller: vor einer Nachhilfeschule ruft mir an einem Werbestand eine Frau zu: „Haben Sie Schulkinder?!“ Ich: „Nicht wirklich.“ Will ich beim Bäcker 1 Brötchen, werde ich gefragt: „EIN Brötchen“ und antworte „Ja bitte, EIN Brötchen“ und komme mir wie ein Geizhals vor und wie eine Niedriglohnignorantin.

Ich kann aber nicht aus lauter Solidarität kaufen, kaufen, kaufen. Ich kann es nicht und könnte ich es, wollte ich meine Solidarität gerne auf eine andere Weise zum Ausdruck bringen. Hätte ich zum Beispiel reelle Arbeitsplätze anzubieten, würde ich das gerne tun.

Aber wissen Sie ‚was? Ich glaube, mir würde ein Betreiber eines Ladens, vor oder in dem sich die Verkäufer den Mund fusslig reden oder sich draußen Einen abfrieren, sich zum Heinz machen, sagen: „Wieso machen Sie sich eigentlich diese Gedanken? Kaufen Sie und gut ist!“

Soooo einfach haben wir aber nicht gewettet: Wenn ich mich als Deutsche durch irgendeine Aktion definieren soll, fällt mir dazu bei den seichten Erklärungen der jeweilige Kampagne nichts ein. „Da bleib’ ich kühl, kein Gefühl!“, um ein Lied der Band „Ideal“ der „Neuen deutschen Welle“ der 80er Jahre zu zitieren.

In der Alltagsrealität beschleicht mich indess der Verdacht, es geht darum, dass ich konsumieren soll. Dann bin ich integriert. Dann bin ich Mutter, Handybenutzerin, Zeitungsabonnentin, schönheitsbewusst, trendy und so weiter und so ...fort!
Aus dem hervorragenden Film „Die fette Jahre sind vorbei“* habe ich mir ein astreines Zitat notiert: „Was früher subversiv war, kannst du heute im Laden kaufen.“ (sagt Jan, gespielt von Daniel Brühl).

Ja, und heute bist du subversiv, wenn du nicht kaufst.

Sagt wer, na
Die laux

*(www.diefettenjahre.de Der Film ist übrigens eine Kooperation aus Deutschland und Österreich. Und wie er zeigt, kann ja auch mal ‚was Gutes dabei herauskommen. Nicht nur Wurst oder noch Schlimmeres)
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