Fußball – Der Nabel der Welt?

Eine Frage der Perspektive: vor dem Nabel liegt die Nabelschnur, und die ernährt.

Wen der Fußball ernährt, das muss ich nicht aufzählen.

Ich werde nach wir vor keine Fußballmaniac.
Das hat sich nach 2006 nicht geändert.

Damals schrieb ich im Auftrag der Westdeutschen Zeitung:

Gibt es in der Politik denn keinen Schiri?Die Fußball-WM ist vorbei, aber ein Team spielt munter weiter: die Bundesregierung. Die Ratinger Autorin Gisela Laux macht sich Gedanken. Rein satirisch natürlich.

Fußballfieber? War Deutschland in den letzten Wochen krank? Und hatte kein Geld für ’ne Krankenversicherung?

In welchem Stadium befindet sich die Bundesrepublik? Stadium, nicht Stadion! Es geht hier nicht um einen bösen Franzosen, der zu Recht mit Schmachgefühlen über dessen idiotische Brutalität – gestern Held, heute Looser – das Spielfeld verlassen muss. Es geht um Bundestrainerin Merkel, die sich mit ihrem Team zwar ebenso an Reformen versucht wie Jürgen Klinsmann es mit seiner Mannschaft getan hat, die aber mit ihrer Regierung nicht ansatzweise soviel Euphorie im Land verbreiten kann wie die deutschen Fußballjungs. Haben Sie in letzter Zeit von der Politik etwas mitbekommen?

T00000r! Und schon wieder eine Reform! Die Deutsche Regierung bleibt am Ball. Mit der Gesund­heitsreform zum Beispiel. Freistoß für Frau Merkel: Ein Elfmeter nach dem anderen. Und wer ist hier der Schiri? Wer pfeift hier eigentlich? Keiner? Es pfeift bald aus allen Löchern! Von wegen frischer Wind. Die Gesundheitsreform schlich sich aus dem bürokratischen Darm und katapultiert sich in den deutschen Äther.

Unsere Volksvertreter scheinen unter geistiger Unterernährung zu leiden. Aber warum behandelt sie kein Arzt? Die Versorgung derer, die Platz auf den gesponserten Rängen eingenommen haben, ist doch First class! Marburger Bund hin oder her.

Einen Tag vor dem heiß erwarteten „Wunder von Dortmund“, man denke an den 4. Juli 1954, das „Wunder von Bem“, trifft Merkel mitten ins Gesundheitssystem. Aber wen schmerzt es? Die, die es betrifft, erlebten gerade panem et circences. Brot und Spiele. Das patriotische Herz pochte. In den Köpfen der Fußballnarren gaben sich Glücks-Hormone die Klinke in die Hand.

Wer gewinnt? Endorphin oder Adrenalin? Die echten Gewinner sind Karius und Baktus.

Und einer ist beleidigt: Herr Beck. Kritisiert von seiner Mannschaft, fühlt er sich verraten und will gehen. Mit wem wird er sein Trikot tauschen? Mit dem ebenso künstlich beleidigten Zidane?

WM: Am Tag danach. Das Spiel ist aus, aber woanders geht es immer weiter. Die Große Koalition spielt ein Spiel ohne Regeln. Da knallt jeder Schiri die Pfeife ins Gras. Ist denn immer noch keiner da, der den Mund aufmacht? Dritter Platz in der historischsten, aber auch hysterischsten Arena des Sports. Trotzdem, der Stolz auf unsere Jungs -wir sind plötzlich alle Eltern mit oder ohne ausreichend Krankenversicherung für Kinder – ist ungebrochen. WM 2010? Deutschland wird Weltmeister! Ist das auch Eure Agenda 2010?

Westdeutsche Zeitung, 11.07.2006

Einsam beim Lieblingsitaliener
Eindrücke eines erklärten Nichtfußball-Fans vom Halbfinalspiel

„Das Runde muss ins Eckige – und in jeder Fanrunde muss es wohl verbal heiß hergehen. Nicht geistreich sein, ist das Motto, sondern wort- und stimmgewaltig. Damit man gleich auffällt, müssen die Klamotten beeindruckend auffällig sein.

Einzelgänger wie ich trauen sich schon mal in die Höhlen von anderen Wesen. Und wenn es nur dazu dient, diese zu verstehen, und dann darauf zu vertrauen, dass man sie auch wirklich verstanden hat, um sich dann wieder beruhigt in die eigene Höhle „zurückzuziehen“.

Deutschland spielt gegen Italien und Italien spielt gegen Deutschland. Ich gehe mit einem Herzchen-Emblem auf der Schulter, unter dem „Italia“ steht, zu meinem Lieblingsitaliener. Ich will meinen Magen füllen und mein Herz mit Emotionen und dann wieder nach Hause gehen. Wo immer das auch ist. Ein Werbespott unterrichtete mich letztens: „Zuhause ist, wo man Freunde hat“. oder so.

Bei „meinem Lieblingsitaliener“ stehen zwei Fernseher. Ein normales Gerät mit kleinen Emp­fangsstörungen und ein Breitband-TV. Ich werde nach meiner Tischreservierung an einen Tisch vor den leicht gestörten Fernseher gesetzt. Eine Capricciosa habe ich bestellt, statt einer Pizza bekomme ich aber Salat. Man ist tolerant. Wofür? Ich wusste nicht, dass die „Überraschung“ ein Synonym für eine Alternative ist Verständnis auf beiden Seiten. Der Fehler wird korrigiert und ich bekomme meine Pizza.

Ein paar Deutsche sitzen auch im Raum. Ich beschließe, mich künftig per Gestik mit den Kellnern zu verständigen. Ich möchte von meinen Landsleuten nicht erkannt werden. In diesem Falle kommen sie unüberhörbar aus Bayern und Sachsen. Der Sachse trägt eine Militär-Tarnhose und einen schwarz-weiß-gelben Plüschhut mit Hörnern. Was für eine Hüne. Der Bayer trägt ebenfalls Hut. Noch anwesend: fünf kleine italienische Bambini, ein weiterer Deutscher immer mit Blick auf Handy und Uhr, der Inhaber des Lokals samt Gattin und Personal.

Auf dem Spielfeld wird gebolzt. Ich sehe Hechtsprünge, ein Gewusel von Füßen, die sich einmal kräftig ineinander verhakeln, Bilder von Menschenmassen, Geschubse und zwei Tore – ganz zum Schluss, als irgendwie alle schon etwas müde sind.

Mein Fazit: Ich hörte sächsisches und bayrisches Dummgelaber, Emotionen in italienischer Sprache. Aber das Herz ging mir nicht über. Ich hin reizüberflutet von massig vielen Bildern und Gekreische. Zu Hause gehe ich gleich ins Bett.

Westdeutsche Zeitung, 06.07.2006

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