Mit der DVD
Rendevous unterm Nierentisch – Die wilden Fünfziger in einer turbulenten Collage aus Werbefilm und Wochenschau, produziert von Tracker Film
haben wir ein sehr aufschlussreiches Dokument über die ersten Stunden der „Sozialen Marktwirtschaft“. Dort findet sich folgendes Zitat
Sie wissen ja, eine Frau hat zwei Lebensfragen: Was soll ich kochen und was soll ich anziehen
Abgesehen davon, dass es harte Arbeit war, dieses Frauenbild zu ändern und wir uns fragen müssen, ob wir überhaupt ein fremdbestimmtes Selbstverständnis von uns selbst haben sollten, gibt es nun Kochsendungen und Modeformate ohne Ende. Für Männer und Frauen. Doch ist uns die Soziale Marktwirtschaft erhalten?
Wir sollen alle in unserem Land die freie Wahl haben. Vorbei die Zeit der Essensmarken. Wir gehen zum Händler, treffen eine freie Käuferentscheidung. Das war der Tenor der 50er Jahre.
Heute sind wir in dem Sog eines Mainstreams, einer Milchstrasse von Konsum- und Leistungsforderungen, denen wir gerecht werden sollen, wollen wir unsere Daseinsberechtigung in dieser neuen Welt aufrechterhalten.
Wir werden von schlechten Nachrichten überhäuft, vor denen wir ohnmächtig stehen. Bei vielen führt diese Handlungsunfähigkeit zur Resignation.
Da kann man nichts machen. Das ist eben so. Das ist auch in anderen Ländern so.
Politikverdrossenheit, Schere zwischen arm und reich, Hingucken, wegsehen, Zivilcourage, Einmischung, Repression und Reaktion…: Man könnte unseren aktuellen Zeitgeist mit vielen weiteren Substantiven ergänzen.
Bei soviel Widersprüchen, soviel Zwang und Fremdbestimmung gibt es auch einen Kontrollverlust der Mächtigen, die in der sozialen Marktwirtschaft nichts mehr und nichts weniger als die Interessensvertreter aller Bürger und Bürgerinnen sein sollten.
Auch Nachrichten über starke Verfehlungen von Politikern haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten dermaßen gehäuft, dass das Vertrauen gegenüber ihnen pauschal verloren gegangen ist. Selbst unter denen, die von den „Volksvertretern“ noch bedient werden. Von denen, die sich ihres gesellschaftlichen und materiellen Status‘ noch sicher wähnen.
Gehen wir einmal das Abenteuer des Perspektivenwechsels ein und stellen uns vor, wir hätten auf einmal den Politikerstatus: Einen mehr als soliden Grundstock an regelmäßigem Einkommen, gefolgt von allen gesellschaftlichen Vorzügen und Verpflichtungen. Doch:
Verpflichtungen gegenüber wem? Das ist die Gretchenfrage!
Fühle ich mich gegenüber Jemandem verpflichtet, der am Rande der Gesellschaft steht, und der keine Stimme hat? Kann ich das ändern? Will ich das ändern? Oder will ich meine eigene Position wahren und diejenigen bedienen, die die Macht im Staat haben, den Industriemogulen, den Bänkern, den Ölmagnaten, den internationalen Handelspartnern? Lohnt es sich, Rückgrat zu zeigen? Wer gibt mir eine einflussreiche Position mit einer sozialen Haltung?
Ende des Perspektivenwechsels.
Was wir brauchen ist, dass über PolitikerInnen, die eine Haltung haben und Taten aufweisen, die der Sozialen Marktwirtschaft gerecht werden, berichtet wird.
Es muss wieder populär werden, sozial kompetent zu sein.
Gisela B. Laux Copyright 2012