Sechs Jahrzehnte Deutschland – Und jetzt?

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Kein Grund zur Euphorie: Die Fahne bleibt zusammengerollt in der Folie: Foto: Gisela B. Laux – Copyright 2009

Heute feiert die Bundesrepublik Deutschland ihren 60. Geburtstag. Hier geht es nicht nur um ein europäisches Land, sondern um die Verfassung, die die Grundrechte der BürgerInnen beinhaltet.

Ludwig Ehrhard, noch heute als „Kanzler des Wirtschaftswunders“ bejubelt und mit Skepsis betrachtet, sprach in einer Rede von den Rechten für alle Bürger dieses Landes. Von dem Gemeinsamen zwischen Arbeiter und denen, ja, denen ganz oben.

Ich höre gerade draußen durch geöffnete Fenster Schreie von Betrunkenen. Der VfL Wolsburg ist heute „Deutscher Meister“ geworden und im Siegestaumel. Ein Riesenfest findet am Siegestor in Berlin statt. Alle Bundesländer präsentieren sich. Popstars geben sich am Nachmittag die Klinke. Bundespräsident Köhler ist in seinem Amt bestätigt worden und dankt seiner Frau für jede Stunde, die er mit ihr verbringt. Man ist gerührt.

Die Wahl ging schnell von statten. Nicht schön für die Gegenkandidatin der SPD, Annette Schavan, mit anzusehen zu müssen, wie die Glückwunschsträuße schon vor Verkündung eilig hervorgehoben wurden.

Rücksicht und Taktgefühl sind nicht gerade zeitgemäß. Das hat mit Konservativismus nichts zu tun. Man bemerkt es nun eben täglich. Im sogenannten bundesdeutschen Alltag.

Die Stimmung in der „Finanzkrise“, im größten, legalen Diebstahl weltweit, aber auch innerhalb Deutschlands von Lobbyisten, ist mies. Man spricht von der Bombe, die tickt. Fragt sich, „wo wird das Alles nur enden?“

Gemeint sind Korruption, Diätenerhöhung, massiver Sozialabbau, destruktive Spekulationen, Wettbewerbskontrollverlust, aggressiver Kapitalismus und eklatant steigende Arbeitslosigkeit. Letztere hat ihren vorerst traurigsten Höhepunkt genommen. Was in den 80er Jahre „erreicht“ wurde, die erste Million der Arbeitslosen, „schafft“ die Bundesrepublik nun innerhalb nur einen Jahres. In 2009.

Deutschland ist ein Land der Pleiten der tragenden Automobilindustrie, der Rekorde und der Inflation. Ein Land an der Schwelle. Wir haben noch die soziale Marktwirtschaft, wir haben ein demokratisches Rechtssystem, Pluralismus. Aber Zentralismus, Überwachungszwang, ausufernde Eigenwilligkeiten von Großkonzernen, Willkür von politischen Entscheidern auf der einen Seite – Angst, Ohnmacht, Wut, Ratlosigkeit, Resignation und Radikalismus auf der anderen Seite trüben das Vertrauen in die Umsetzung unseres Grundgesetzes. Das höher-schneller-weiter Prinzip hat sich vergalloppiert.

Es gibt hier immer mehr Millionäre, die sich mehr oder weniger wohl fühlen. Wo schöne Häuser stehen – Immobilien! – da lassen sich auch Sicherheitsunternehmen nieder. Ich habe beim Spazieren noch nie so viele Schilder von Security Unternehmen gesehen, wie in letzter Zeit.

Arm will man nicht sein. Aber so richtig reich. Das ist auch beunruhigend.

Man will möglichst sein Leben im Griff haben. Haben wir das? Es bilden sich im Alltag mehr Kriegsschauplätze als Erfolgsstätten. Zumindest, wenn man ganz unten ist. Von dort sieht man Alles und es wird auf Einen herabgesehen.

Da werden Sehnsüchte stark. Die bedienen die Medien. Frauen möchten Göttinnen sein, und die Kosmetikindustrie hat das Richtige parat, um dies in Ihnen zu wecken. Männer wollen Könige sein. Da genügt es auch, wenn sie ein kühles Bier zu sich nehmen.

Kinder und Jugendliche wachsen mit einem schier unverarbeitbaren Gros an Reizen und Forderungen, aber auch an Frustration und Perspektivlosigkeit. Das weckt Aggressionen. Bei Ihnen und bei den Erwachsenen.

Wir müssen den Generationenvertrag begraben. Wir haben Generationskonflikte. Und nicht nur das. Durch Arbeitslosigkeit sind millionen Lebensplanungen erschüttert. Innerhalb einer Peer Group herrscht nicht nur die gewünschte Individualität, sondern auch Heterogenität, die zu Missgunst und Spaltung führen. Um viele Menschen in Deutschland ist es einsam geworden.

Ich bin am Stocken. Überlege, was mir noch an diesem oder zu diesem Tag einfällt. Zu sehr bin ich entfernt von einem ganz speziellen Gefühl. Ich empfinde eine mittlerweile diffuse Sorge.

Die Kulisse Deutschland Teil II wird erscheinen. Eher sooner als later. Wir lesen uns.

Ihre
Gisela B. Laux
Copyright 2009

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