Ein Rückblick kann sehr erhellend sein

Ich habe mein altes Zeitungsarchiv geöffnet und mir aus dem Regal Ausgaben von 1998 und ’99 von einem Society Magazin, dessen Chefradakteur längst gewechselt hat, buchstäblich herausgezogen.

Banal sind die Partnerwechsel von prominenten Künstlern, Sportlern und Köpfen des niederen Adels, spannend dagegen der Imagewechsel der Vorstände von Banken und Politikern.

Während die Vergangenheit in mir geweckt wird von nichts selbst Erlebtem, aber damals Gelesenem und Betrachtenden – Motto: Kurze Texte zu vielen Fotos: Das Bilderbuch für die erwachsene Frau – sehe ich zu meiner Überraschung Guido Westerwelle als Dressman für ein Modelabel. Auch Scharping, von dem man dieser Tage gar nicht mehr spricht – gut, dann bin ich die Erste und vielleicht Einzige, die heute seiner „gedenkt“ – wurde in feschem Zwirn verpackt. Es sollte sein Schade nicht sein, sein politisches Renomée nicht stören.

Hat es auch nicht. Auch nicht der Titel eines weiteren Magazins, das auf eine weitere Vergangenheit des wirtschaftlich aufsteigenden Deutschland zurückblicken kann, auf dem Scharping, seine Kanzlerkandidatur in der Triade war längst vergessen, plantschend im Pool zu sehen war. Glücklich, unsexy, dennoch nahe an der Anzüglichkeit. Fragte man sich damals doch: Darf ein Politiker, ein Volksvertreter so offen happy sein? Nach mir die Sintflut im Swimmingpool?

Ja, und viel ist passiert. Es folgten unzählige Charityparties, auf denen mehr Champagner und Lamoryanz floss als notwendige Spenden.

Unzählige Fotos von Stars, die sich mehr und absolut im Mittelpunkt inszenierten.

Es gab Skandale, die eindeutig getopt wurden: Was ist denn eine Tagesschausprecherin, die sich in Strapsen ästhetisch ablichten lässt und deshalb gekündigt wird gegen einen VW Vorstand, der zum Namensgeber für fehl-inszenierte Gerechtigkeit – Hartz IV – wird?

Und dann „passierte“ der Wirtschaftscrash. Er wurde ge-macht!

Und damals wie heute lacht uns Ackermann in die Kamera, „Lichtenstein“ ist zum „Men“ (nach Vera Birkenbihl) geworden, die katholische Kirche muss Buße tun, weil sie Kindesmissbrauch in ihren eigenen Reihen verheimlicht hat. Zu Recht, aber warum erst jetzt?

Heute schreibt das Magazin frecher, provokanter. Die Zeit verlangt’s.

Eine Zeit, in der Gewalt und Ausbeutung erduldet werden.

Es hat sich ‚was verselbstständigt, was damals, im Fin de Siècle des 20. Jahrhunderts begonnen zu haben scheint.

„Alles kann, nichts muss“ auf der einen, „Man kann es sowieso nicht ändern“ auf der anderen Seite.
Grenzüberschreitung hier, Resignation dort.

„Hau drauf“ versus „Pessimismus“.

Ich vermisse Ziele. Worauf bewegen wir uns im nächsten Jahrzehnt zu, nachdem von 2000 bis 2010 so viel zu Bruch gegangen ist, was uns trägt? Die Höhenflüge der Lobbyisten gehen zwar steil nach oben, aber eben nur für sie selbst. Das ist punktuell und destruktiv.

Der Rückblick ist nicht nur erhellend, sondern macht auch unsicher.

Wo sind die Streams jenseits der Mainstreams? Wo ist das, was der Generation 40+ als Werte in den Schulen und in der Musik, der Literatur etc. in Auftrag gegeben wurde?

Wie lösen wir wieder die Monokulturen in Wirtschaft, Politik und Unterhaltung auf?
Zurück können wir nicht gehen, da treffen wir nur auf das, was uns in diese schwierige Zeit, in der wir jetzt leben, gebracht hat: den Scheitelpunkt der sozialen Schere.

Um es mit Xavier Naidoo zu sagen: „Alles kann besser werden“.

Gisela B. Laux
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