Die Kleinbürgerlichkeit des 3. Jahrtausends ist die Kleinbürgerlichkeit der 2. Hälfte des 2. Jahrtausends…und international noch dazu

In der Folge 9 der hessischen 60er-Jahre-Mundartserie die Firma Hesselbach, „Das Gerücht vom Dienst“ sinniert der junge Herr Hesselbach mit seiner Verlobten über den heimischen Mief der Eltern und reflektiert den Mief der Kleinbürgerlichkeit an einzelnen Möbelstücken im elterlichen Wohn-Eßzimmer. Der Vater betritt, für ihn zunächst unbemerkt, das Zimmer und setzt an den Widerspruch seiner künftigen Schwiegertochter (Aber das ist doch unwichtig!“) an. Es folgt eine Rede … über die Kleinbürgerlichkeit.

Eben, seit wann ist denn die Möblierung eine Frage der Wohnungsmöblierung. Forderst du Nierentische. (Der Sohn widerspricht, sie seien „längs wieder aus der Mode.“).

Na, siehs’de, aber dieses Buffet hat dein Vater mit der Hand geschnitzt,“ worauf sein Sohn pariert: „Trotzdem: leider Kitsch!“…
Lieber handgeschnitzter Kitsch, zu dem ich eine Beziehung habe, als der letzte Modeschrei in Serienfabrikation, der in spätestens in 5 Jahren für Kitsch erklärt wird. Weißt du, dieses Sofa, das habe ich von meinem ersten, verdienten Geld gekauft. Das ist heute noch genauso bequem wie damals. Warum sollte ich das abschaffen? Das Bild, ist kein Kunstwerk, kein Meisterwerk. Ich war noch als kleiner Bub dabei, wie mein Onkel des gemalt hat. Der Hirsch da hinne geht auf mein Konto. Ich hab noch einen habe wolle, na, da hat er noch einen druff gemacht. (Der Sohn: „Na, schön, du hast eine Beziehung dazu. Aber sowas kann man heute net mehr uffhänge!“)

„Man kann“, siehsde, DAS ist kleinbürgerlich gedacht. Die Anderen, die Angst, man könnte für unmodern gehalten werden. Vor 50 Jahren, da war man nix, wenn man keinen Salon hatte mit Paradekristall und Spitzendeckchen, und heute is ma nix ohne Auto, Fernsehapparat und Waschmaschine und abstrakte Möbel. Ist doch im Grunde dieselbe Sach! Kleinbürgerlichkeit ist eine Denkungsart.
(Der Sohn unterbricht: “ Die überwunden werden muss, ja…“)

„Überwunden?!“ Aber das große Zeitalter des Kleinbürgers, das fängt überhaupt erst richtig an. Siehsde mal, der Proletarier ist kein Proletarier mehr, der ist bereits Kleinbürger. Der Großbürger, der königliche Kaufmann, der unabhängige Wissenschaftler: die rutschen ja alle ab zum Kleinbürgern. Weil sich keiner mehr die Unabhängigkeit leisten kann. Wer sagt denn heute noch, was er denkt? Wer denkt denn heute noch?, was er sagt sagt?! Und alles trifft sich bei dem kleinbürgerlichen Lebensideal: Gesichertes Einkommen, gesicherte Pension , gesicherter Urlaub. Gesicherter Schutz gegen Feuer, Diebstahl und Krankheit. Und natürlich die neueste, Errungenschaft auf bequeme Abzahlung in Raten, Kultur aus dem Radio, das Weltbild aus dem Fernsehen, die Meinung aus der Zeitung – alles zusammen für 11,50 DM im Monat – und alles schön einheitlich. Motto: Größte Bequemlichkeit bei kleinstem Risiko und möglichst gar keine Verantwortung.

Was heißt hier Selbstständigkeit, Unabhängigkeit, eigene Initiative und eigenes Nachdenken?! Was heißt hier Politik, was heißt hier H-Bombe?!

Hauptsache mir geht’s gut und nächsten Monat kommt ein Infra-Grill ins Haus, und nächstes Jahr vielleicht ein offener Kamin?! (er spricht es mit Ironie, leicht singend zitierend auf)!

Siehst du (er zeigt mit dem Finger auf seinen Sohn): DAS ist die Kleinbürgerlichkeit von heute.

So erhellend dieser Dialog ist, der sich noch fortsetzt. Auch die Familie Hesselbach geht ihren weg, der auch der Weg viele anderer in der damaligen Zeit bis heute ist: Sie möblieren ihre Wohnung neu, und der Sohn wandert mit Frau und neuem Job in die USA aus.

Was lernen wir daraus? Was ist die Moral von der Geschichte?

„Schön. Das Privatleben wird immer mehr genormt, was willsde dagegen machen?“, fragt der Sohn.

Machen! Jedes Zeitalter, dessen Kleinbürger meint, keiner zu sein…da kann mer garnix mache… das ist ein Entwicklungsstadium.

Angesichts der Internetbusinesses – der Kunde gibt „zu seiner eigenen Sicherheit“ Vertrauensvorschuß an die Großunternehmen, die Patriarchen erleben wir die Kontrolle über unser Leben. Wir treiben und mit unserem Neid gegenüber anderen und unserer Gier nach mehr, mehr als „nur“ Sicherheit, die uns durch das Kaufen von Sicherheit unsicherer gemacht wird, immer mehr aus der Unabhängigkeit und dem freien Willen, auch dem Willen nach Freiheit heraus.

Kurz und gut: Bis heue tragen wir selbst zu wenig Verantwortung, lassen uns überfordern und verunsichern und geben die Verantwortung ab, um am Ende empört und ohnmächtig dazustehen.

Und die Empörung, die tun wir nicht offen kund, aus Angst vor Repressalien. Die Empörung nutzt aber nichts in den „eigenen“ 4 Wänden, an der Bushaltestelle oder in der Kneipe.

Die muss raus in die Öffentlichkeit.

Nehmen wir doch einfach mal die vorgehaltene Hand weg, sprechen Klartext, sind couragiert in der Kritik gegenüber den Patriarchen und tragen für das, wofür wir es können Verantwortung.

Copyright Gisela Laux 2014

Wer sagt, dass die „Kleinbürgerlichkeit“ international in der globalisierten Welt von heute ist?
Das vorletzte Wort hat Herr Hesselbach:

Wenn ihr der irrigen Auffassung seit, die Welt wär woanders weniger albern, als hier, aber diesen Umzug könnt Ihr Euch sparen. Ihr trefft überall die gleiche Leut, die gleiche Autos und die gleiche, dumme Redensarten. Aber, was die Unabhängigkeit betrifft, mein lieber Willi, da hat der Prokurist der Firma Hesselbach mit 10% Anteilen vermutlich mehr innere und äußere Freiheit als der angestellte Generaldirektor eines Mammutkonzerns.

Wie wir erfahren, haben die angestellten Generaldirektoren von Mammutkonzerns einen starken Hang entwickelt, sich von den Ketten der Unfreiheit, man kann auch sagen: Der Verantwortung ihres eigenen, Misshandelns, mit einem Ruck zu befreien.

Da der Blogeintrag schon einen nicht unbeträchtlichen Umfang erreicht hat, erspare ich Ihnen die Aufzählung von Namen.

Das Schlußwort hatte nun wer? Na,
die laux
Copyright 2014

About dielaux