25 Jahre Deutsche Einheit: Wir sind wer?

Ich glaube,

Anders kann ich den Satz nicht beginnen. Denn Deutschland hat eine sehr vielfältige Geschichte. Es gibt Schwerpunkte um die Definitionen dieses Vielvölkerstaats, der es schon ist, sich aber eben mit dieser Identität so schwer tut.

Ohne die Völkerwanderung wäre Deutschland nicht so vielfältig, nicht so reich an Dialekten und anderen Einflüssen von anderen Ländern in unsere Sprache, in unserer Essenskultur, die Architektur, das breit aufgestellte Wissen in so vielen Bereichen von der Kunst bis in die Wisssenschaften.

Aber, würden wir die Vielfältigkeit auf die frühen Völkerwanderungen reduzieren, wäre das eine unvollständige Wissenstradierung. Ein Fragment unseres Bewusstseins.

Deutsche Regierende haben sich in den Jahrtausenden nicht mit Ruhm bekleckert, sie haben Unfreiheit und Tod erzeugt. Und sie fanden breite Unterstützung. Aus Angst. Und aus Gier.

Aber immer wieder gab es Menschen, die sich dem nicht unterwarfen und Menschen, die stark genug waren, zu überleben. Letzteres ist zu schlicht ausgedrückt. Da fehlt es an unserer Sprache. Wie soll ich es ganz unpathetisch ausdrücken, was Überlebende für sich und uns alle geleistet haben. Schon das „uns alle“ klingt sehr getragen und künstlich. Aber ich will diesen Menschen Respekt zollen, der ihnen von unserem Staat bis heute verwehrt wird. Denn noch heute gibt es Überlebende des Holocaust, die Klagen bei den Sozialgerichten einreichen müssen, um im hohen Alter zu überleben. Da gibt es keine schnellen Entscheidungen, dafür wird viel Papier gewälzt und neu verbraucht. Dafür fehlen mir die Worte.

Das Unrecht der Machthaber und Mitmacher der SED in der DDR wird heutzutage zwar kommuniziert. Aber, je nachdem, welchen Sender man einschaltet, auch abhängig von der Tageszeit, wird die DDR als Ort der „Ostalgie“ gefeiert, selbst ein Privatmuseum in Magdeburg wird im ZDF Vormittagsprogramm mitsamt seinen „Militaria Devotionalien“ gefeiert, wäre in der Sendung nicht live ein Journalist (früher in der DDR heute Journalist und Autor) als Gast zu Wort gekommen, der diesen oberflächlichen Geschmack nicht teilen will, weil er die Geschichte und die Gegenwart nicht schön reden will.

Heute hat das letzte Quartal von 2015 begonnen, und ich denke mal im Voraus, was „die Kanzlerin“, Hoffnungsrägerin aktuell für Hundertausende von Flüchtlingen zur Neujahrsrede sagen wird. Sie wird beteuern und ermahnen. Da kann passieren, was will. Sie will uns mit in die Verantwortung nehmen.

Verantwortung.
Verantwortung ist nicht nur eine Last. Denn ihre Voraussetzung ist Freiheit. Als freier, unabhängiger Mensch kann ich Verantwortung tragen. Zunächst für mich und mein Handeln. Und dann für Andere. Was die „anderen“ betrifft, mag für jeden Einzelnen die Reihenfolge individuell sein.

Individualismus.
Auch der setzt Freiheit voraus. Aus meiner Sicht. Aus der Sicht des Einzelnen. Was uns als Gemeinschaft betrifft, so verlangt der Individualismus Toleranz untereinander.

Toleranz.
Ein sehr bedeutungsvolles Wort. Ich emfinde dieses Wort als äußerst nachdenkenswürdig. Was bedeutet Toleranz im hier und jetzt in Deutschland?
Wann setzt sie wo ein?

Tolerieren wir schon jetzt, ein paar Tage nach Offenlegung des Abgasmanipulationsskandales von VW, den Schaden und die Hintergründe?

Warum müssen wir überhaupt darüber nachdenken, ob wir Flüchtlinge tolerieren?

Wir haben das Grundgesetz. Und das sollten wir nicht vergessen, das sollten wir uns bewusst machen.

Und ein Blick in die Geschichtsbücher, schließlich die Kommunikation mit emphatischen Menschen und gesprächs- und reflektionswilligen Zweiflern runden das Ganze ab.

Das Ganze.
Ist
—–
unterm Strich.
Leben in Freiheit und Gerechtigkeit.

Und da sind wir in der Verantwortung, als Individuen, nicht als Bürger eines Staates, diese zu pflegen.

Gisela Laux
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